In Kirchenräumen inszenierter Glaube             Artikel

 Ein pfiffiger Domführer für Kinder, der zum Entdecken aktiviert: Mit Simmi durch den Augsburger Dom

In Kirchenräumen inszenierter Glaube

Ludwig Sauter

Kinder lernen Religion nicht hauptsächlich als Lehre, sondern als eine Art Heimatgefühl, das sie mit bestimmten Zeiten und Rhythmen, mit Orten und Ritualen verbinden. Sie lernen Religion also von außen nach innen.“ (Fulbert Steffensky)
Religion erschließt sich demnach auch und gerade durch ihre Ausdrucksformen. Nicht das Reden über Religion, sondern in erster Linie die sinnenhafte und erlebnishafte Wahrnehmung einer greifbaren Gestaltungsform macht mit dem Glauben bekannt und vertraut. So wird Religion zu einem Gebäude, einer bewohnbaren Welt, in die man sich von außen hineinbegeben kann.
 

Ein Großteil der Kinder und Jugendlichen haben heute weder in der Familie noch in der Gemeinde Berührungen mit solchen Erfahrungsräumen.
Das hat weitreichende Konsequenzen für den Religionsunterricht: Er kann bei den Schülern keinen Erfahrungsschatz auf gestalteten Glauben voraussetzen, auf den er seine Lernprozessen stützen könnte.
Das bedeutet, dass im Rahmen des RU stärker die Begegnung mit konkreten Gestaltungsformen des Glaubens gesucht werden muss, wenn er sich nicht im Reden über Religion erschöpfen will.

Der Erkundungsgang zur Kirche ist so eine Chance, die eine originale Begegnung mit gelebtem und gestaltetem Glauben ermöglicht.


Kirchen sind aus Stein geformte Glaubenszeugen.

Generationen von Christen haben ihre Glaubensvorstellungen und –Überzeugungen, ihre daran geknüpften Sehnsüchte und Hoffnungen immer wieder neu derart sichtbar in Szene gesetzt und Gestalt werden lassen.
So erzählt die Architektur, die äußere und innere Gestaltung, die Ausstattung vom Glauben vergangener Generationen – natürlich auch von den Lebensumständen, den geistigen und auch wirtschaftlichen Anstrengungen dieser Menschen.
Anders als in einem Museum wird der Kirchenraum gleichzeitig sinnlich wahrnehmbar als Ort des Glaubensleben der aktuellen Gemeinde durch Altar, Taufbecken, Bilder, Kerzen, Gebetsbücher und nicht zuletzt durch im Raum anwesende betende Menschen. Das macht diesen Ort aus sich heraus besonders reizvoll und glaubwürdig. Der Kirchenraum hat eine besondere Ausstrahlung und Atmosphäre, allerdings nicht aus sich selbst heraus, sondern dadurch dass Menschen hier ihre Beziehung zu Gott zum Ausdruck bringen –  oft schon seit Generationen
Auch wenn Kirchenräume wesentlich auf die Gottesdienstfeier ausgerichtet sind, laden sie doch auf vielfältige Weise zur Begegnung mit Gott ein.
 

Kirchen bieten also die Möglichkeit etwas vom Glauben vergangener Generationen, der gegenwärtigen Gemeinde und der besonderen Atmosphäre dieses Ortes wahrzunehmen.
Dabei kann sich der „Besucher“ nicht heraushalten, sondern wird sich selbst im Kirchenraum wahrnehmen - Kirchen öffnen Erfahrungsräume, in denen ich mich selbst und gestalteten Glauben wahrnehmen kann – vor allem neu wahrnehmen kann. Das stößt Denk- und Verstehensprozesse an und eröffnet angemessene Zugänge zum christlichen Glauben und ermöglicht religiöse Entwicklung. Aber dieser Weg gelingt nicht automatisch: Kirchenräume und ihre Botschaft müssen erst aufgeschlossen werden.

Kirchenraumpädagogik:

Die Religionspädagogik hat den Kirchenraum als Lernort (wieder) entdeckt. Der sog. Kirchenraumpädagogik geht es dabei nicht um ein Aneinanderreihen von Daten und Fakten über Geschichte, Baustil, Künstler und Stifter einer Kirche, sondern um einen mehrperspektivischen Zugang, durch den der Kirchenraum eine unmittelbare persönliche Bedeutung gewinnen kann. Dabei sind Sehen und Erleben, Begegnen und Entschlüsseln, Gestalten und Sich-In-Beziehung-Setzen zentrale didaktische Kategorien der religiösen Erschließung. Es sind also Erschließungswege nötig, die sowohl die Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen wie auch die spezifische Eigenart der jeweiligen Kirche berücksichtigen.

Kirchengebäude und –räume sind sinnenfällig inszenierte Glaubensbekenntnisse. Wie können Kinder und Jugendliche etwas vom tieferen Sinn des Kirchenraumes erfahren? Wie können sie sich selbst in diesem Raum wahrnehmen und in Beziehung setzen?

Solche Zielsetzungen können bei einer Kirchenbegehung unter unterschiedlichen Ansätzen verfolgen werden, z.B.:

·        Katechetische Ausrichtung: Der Kirchenraum wird bewusst als Gottesdienstraum vorgestellt und seine Ausstattung von seiner Funktion her verständlich gemacht. Eine Zugangsweise, die immer wichtiger wird in einer Zeit, in der man bei Kirchenbesuchern kaum mehr etwas voraussetzen kann. Gefahrenpunkt einer solchen Kirchenführungen ist, dass oftmals ein Ausstattungsgegenstand nur zum Aufhänger einer religiösen Unterweisung wird und seine ganz konkrete Gestaltung keine Rolle mehr spielt.

·        Handlungsorientierter Ansatz: Durch Erkunden und Erforschen, durch Tun und Nachgestalten entsteht ein Kirchenführungsstil mit Werkstatt-Charakter. Leider geht oft in einem gewissen Aktionismus die theologische Dimension verloren oder wird vergessen.

·        Symboldidaktischer Ansatz: Alles im Kirchenraum hat eine mehrdimensionale Bedeutung: Die Ausrichtung, die Maßverhältnisse, die Architektur, alles ist immer auch gebaute Theologie. Es geht um das Erfahrbarmachen und Erschließen vorfindlicher Symbolik.

Eines gilt wohl für alle Modelle und Ansätze: sie sind in ihren Handlungsformen zeitaufwändig. „Nicht schnelles Sehen führt zum Ziel, sondern zeitnehmendes Begehen. Zeitintensives Sehen und Erleben sind ebenso auf einen angemessenen Zeitraum angewiesen wie das Formen und Gestalten. Beziehung zum Kirchenraum und seinen Gehalten aufzunehmen braucht Zeit, weil jede Beziehung in ihrer Qualität von der Zeitinvestition abhängt.“[1]

Deshalb gilt es für die Lehrkraft bei der geplanten Kirchenerkundung nach dem Motto „Weniger ist oft mehr“ Schwerpunkte zu setzen und genügend Zeit einzuplanen. Weitere Besuche im gleichen Kirchenraum können unter anderer Perspektivensetzung zu einer wachsenden Vertrautheit führen.

Ein persönlicher Bezug kann sich entwickeln, wo Kindern und Jugendlichen sich auch individuell dem Kirchenraum annähern können, z.B. ihren Lieblingsplatz, ein Bild, eine Figur, die sie interessiert, suchen.
Da für Kinder und Jugendliche das Betreten eines Kirchenraumes zunehmend eine Erst- bzw. Neubegegnung mit Kirche darstellt, sind sie mit den Ausdrucksformen des Raumes und ihrer Leseart nicht vertraut. Erforderlich sind dafür ganzheitlich und handlungsorientierte Zugangsweisen, die anregen, den Kirchenraum bewusst wahrzunehmen, sein Raum- und Bildprogramm zu entdecken, seine Funktion und Ausstrahlung zu erleben.

Im Folgenden stelle ich Anregungen zu Kirchenerkundungen unter dem inhaltlichen Schwerpunkt „Kirche als Raum der Sammlung und des Gebets“ und „Botschaft des Kirchenraumes“ vor. Dabei werden zum einen wesentliche Phasen einer Kirchenraumerkundung mit Vor- und Nachbereitung[2] ersichtlich, zum anderen ganzheitliche und handlungsorientierte Methodenbausteine.




[1] Fischer Friedrich, Kirchenpädagogik: Ein religionspädagogisches Teilgebiet etabliert sich, in: Bibel und Liturgie, Jg. 74 (2001), 109

[2] vgl. Prof. Hans Mendl